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Der syrische Rebellenführer distanzierte sich von dschihadistischen Gruppen und bemüht sich um gute internationale Kontakte. Internationale Experten sind von der Änderung nicht überzeugt.
Der Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad war Abu Mohammed al-Jolanis Hauptziel. Am Sonntag drangen Jolanis islamistische Kämpfer in Syriens Machtzentrum, die Hauptstadt Damaskus, ein und erklärten die Stadt für „frei“ – 13 Jahre nachdem Assad mit Gewalt regierungsfeindliche Proteste im Land unterdrückt hatte.
Die USA hatten vor Jahren ein Kopfgeld von zehn Millionen US-Dollar (9,49 Millionen Euro) für ihn ausgesetzt. Doch in den letzten Jahren arbeitete der heute 42-jährige Islamistenführer an einem persönlichen Imagewandel.
Heute präsentiert er sich als gemäßigter Führer. Beobachter sehen in ihm einen vermeintlichen „Garanten der Sicherheit“. Trotz früherer Aufrufe zum Sturz Jolanis wächst die Unterstützung in der Bevölkerung nun mit jedem weiteren Vormarsch gegen Assads Regierungstruppen wieder.
Anfänge im Irak
Im Jahr 2003 schloss sich der Syrer Jolani, der mit bürgerlichem Namen Ahmed Hussein al-Sharaa heißt, extremistischen Gruppen im Irak an, um gegen US-Truppen zu kämpfen. Aus Anhängern des Terrornetzwerks Al-Kaida formierte sich dort die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS). Jolanis Kampfname weist auf die Herkunft seiner Familie aus den von Israel annektierten Golanhöhen hin.
Mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2011 erhielt Jolani auch mehr Verantwortung. IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi schickte ihn in seine Heimat zurück, um die sogenannte Al-Nusra-Front zu leiten – einen ehemaligen Ableger von Al-Kaida in Syrien. Im syrischen Bürgerkrieg kämpfte sie zunächst unter anderem gegen die Regierungstruppen von Präsident Assad und kurdische Milizen.
Später kam es zum Bruch sowohl mit dem „Islamischen Staat“ als auch mit Al-Kaida, die 2014 selbst zu gegenseitigen Rivalen wurden. Jolani wollte die transnationalen Ambitionen seiner ehemaligen Verbündeten aufgeben und sich stattdessen auf den Kampf in Syrien selbst konzentrieren. Mit dem Bruch gingen Jolanis Kämpfer hart gegen alle dschihadistischen Gruppen im Nordwesten Syriens vor.
Seitdem hat die Al-Nusra-Front mehrere Veränderungen durchgemacht und ihre Ideologien kontinuierlich angepasst. Heute ist sie als HTS bekannt, die Organisation zur Befreiung (Groß-)Syriens.
Imagewandel im Bürgerkrieg
„Der Mann ist sehr daran interessiert, zu regieren“, sagte die in Schweden ansässige Analystin Orwa Ajjoub der Deutschen Presse-Agentur. Ajjoub forscht seit Jahren zum Syrienkonflikt und zum Dschihadismus. Unter der Führung von Al-Jolani hat HTS im Nordwesten des Bürgerkriegslandes relativ erfolgreich eine Art Alternativregierung für die syrische Opposition aufgebaut.
Das Land ist heute völlig gespalten. Assad kontrollierte zuletzt mit Hilfe seiner Verbündeten Russland und Iran rund zwei Drittel des Landes. Oppositionskräfte wie HTS dominieren Teile des Nordwestens und Nordostens.
Sowohl die USA als auch die Europäische Union stufen Jolanis Gruppe HTS weiterhin als terroristische Organisationen ein. HTS ist eine autoritäre bewaffnete Gruppe. In den letzten Jahren wurden ihr unter anderem Folter, andere Formen der Gewalt und die Vertreibung von Minderheiten vorgeworfen.
Nach Einschätzung Ajjoubs gilt die internationale Gemeinschaft in ihm noch immer als „Garant der Sicherheit“. Für den Westen stellt er keine Gefahr dar. Im Laufe der Jahre ist es dem HTS-Leiter gelungen, gute Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft aufzubauen. „Aber natürlich nicht öffentlich“, sagt Ajjoub. Der „Islamische Staat“ und Al-Kaida sind für ihn Geschichte.
Politiker an der Spitze einer Miliz
Dies bringt insbesondere für die Türkei Vorteile. Ein großes Anliegen des Nachbarlandes ist es, die zahlreichen syrischen Flüchtlinge im eigenen Land in ihr Heimatland zurückschicken zu können. Aus Türkiyes Sicht bietet Jolanis relativ stabile Regierungsführung den Bewohnern Sicherheit. Hilfreich ist auch Jolanis gezielter Kampf gegen IS- und Al-Kaida-Zellen.
Nach eigenen Angaben plant Jolani, in Syrien ein institutionelles Regierungssystem aufzubauen. Keines, bei dem ein einzelner Machthaber willkürliche Entscheidungen treffe, sagte der US-Fernsehsender CNN. „Wir sprechen nicht über die Herrschaft einzelner Personen oder persönliche Launen“, sagte Jolani.
Riad Kahwaji, Gründer des Militärinstituts INEGMA in Dubai, sieht in Al-Jolanis Transformation vor allem Opportunismus. Heute stellt er sich selbst als „nationalistische Figur“ dar, die keine extremistischen Ansichten mehr vertritt und zur Einheit und Koexistenz mit anderen Minderheiten aufruft. Er sieht sich als Politiker, der eine Miliz anführt.
Eine kürzlich erfolgte Namensänderung kann ebenfalls zur Transformation beitragen. Zuletzt wurde er erstmals öffentlich auf dem HTS-Telegram-Kanal mit seinem richtigen Namen statt mit seinem Pseudonym zitiert.
Von Protesten gegen ihn zum „Lokalhelden“
Jolani hatte bis zur Offensive der Rebellen nicht die volle Unterstützung der Bevölkerung. „Er hat viele politische Aktivisten und seine Gegner verhaftet und ins Gefängnis gesteckt“, sagte Experte Ajjoub. Seit etwa einem Jahr kommt es immer wieder zu Protesten gegen ihn. „Als die Offensive begann, gelang es ihm jedoch, all diese Leute um sich herum zu mobilisieren“, sagte Ajjoub.
Die meisten Kämpfer der Rebellenallianz waren zuvor aus Homs, Hama und anderen Gebieten vertrieben worden. Sie kämpften nun um ihr eigenes Land. „Vom ersten Tag an habe ich von den Menschen in Idlib gehört, jetzt sei nicht die Zeit für Demonstrationen, jetzt sei die Zeit zum Kämpfen.“
Er hat sich zum „Lokalhelden“ und möglicherweise auch zu einer Leitfigur über die Grenzen Syriens hinaus entwickelt, weil viele Menschen den Sturz des syrischen Regimes gerne sehen würden.
Der Konflikt begann 2011 mit Protesten gegen die Regierung Assad. Sicherheitskräfte reagierten mit Gewalt. Hunderttausende Menschen sind bisher gestorben und mehrere Millionen wurden vertrieben. Seit seinem Bruch mit al-Qaida im Jahr 2016 versucht Jolani, sein Image zu glätten und gemäßigter zu wirken. Experten und westliche Regierungen sind nicht überzeugt. Sie stufen die HTS weiterhin als Terrorgruppe ein.
Der Wissenschaftler Thomas Pierret vom französischen Forschungsinstitut CNRS nennt ihn einen „pragmatischen Radikalen“. Im Jahr 2014 sei Jolani auf dem Höhepunkt seiner Radikalität gewesen, sagt der Experte und weist darauf hin, dass er sich gegen die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) durchsetzen wollte. Seitdem habe er „seine Rhetorik abgemildert“. Als Jolani die Verbindung zu al-Qaida abbricht, erklärt er, dass er dies tue, um dem Westen keine Gründe für einen Angriff auf seine Organisation zu liefern. Laut Pierret habe er seitdem versucht, sich auf den Weg zu einem „aufstrebenden Staatsmann“ zu machen.
Im Nordwesten Syriens zwang Jolani im Januar 2017 rivalisierende islamistische Gruppen zum Zusammenschluss mit der HTS und beanspruchte damit die Kontrolle über weite Teile der nordwestsyrischen Provinz Idlib. HTS errichtete in den von ihm kontrollierten Gebieten eine Zivilregierung und errichtete in Idlib eine Art Staat, während es gleichzeitig seine Rivalen vernichtete. In dieser Zeit warfen Anwohner und Menschenrechtsgruppen HTS brutales Vorgehen gegen Dissidenten vor – die Vereinten Nationen stufen diese als Kriegsverbrechen ein.
Vielleicht war Jolani sich der Angst und des Hasses bewusst, die seine Miliz auslöste, und wandte sich an die Bewohner von Aleppo, um ihnen zu versichern, dass ihnen nichts passieren würde. In Aleppo gibt es eine große christliche Minderheit. Er forderte seine Kämpfer außerdem auf, für Sicherheit in den nun übernommenen Gebieten zu sorgen.
Das sei zunächst einmal ein politisch guter Ansatz, erklärte Aron Lund vom Think Tank Century International. „Je weniger Panik es auf lokaler und internationaler Ebene gibt und je mehr Jolani wie ein verantwortungsbewusster Schauspieler und nicht wie ein giftiger Dschihad-Extremist erscheint, desto einfacher wird seine Aufgabe sein. Ist er völlig aufrichtig? Mit Sicherheit nicht“, sagte er. „Aber es ist das Klügste, was Sie jetzt sagen und tun können.“
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