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„Es ist kein Luxusleben. Wir arbeiten alle Teilzeit und wohnen in Wohngemeinschaften. Aber es klappt, wenn die Einnahmequellen aus Auftritten, dem Verkauf eigener Alben, Merchandise, Tantiemen und Nebenjobs bestehen“, sagt der 22-jährige Leon Eder, Schlagzeuger der Wiener Band Leftovers. „Heute ist alles in Ordnung, man lernt viel. Aber wenn ich 30 oder 40 Jahre alt bin, möchte ich das vielleicht nicht mehr machen.“
Rund 1.000 Euro im Monat: So viel würden die meisten darstellenden Künstler der freien Szene in Wien bei einer guten Auftragslage verdienen, wenn sie keine Einkünfte aus Nebenjobs hätten. Dies zeigt eine qualitative Studie, in der Vertreter des Berufsfelds ausführlich zu ihrem Berufsleben befragt wurden. Das Wort „Hungerkünstler“ gibt es immer noch und das zu Recht. Deshalb arbeiten Künstler als Kellnerinnen oder unterrichten nebenbei, geben Konzerte im Tourismusbereich, arbeiten in Handwerksbetrieben, begeistern als Reiseleiter Menschen oder schneiden Ziegel auf dem Bau. Oder sie helfen, wie Leon, beim Management ihrer eigenen Band mit.
Keine soziale Unterstützung in Notfällen
Unter dem Titel „Die Kulturmetropole Wien: ein prekärer Arbeitsort für Künstler?“ Sozialwissenschaftler befragten Künstler im Alter zwischen 26 und 72 Jahren, davon acht aus der Musikbranche, sechs aus dem Theaterbereich und ein Tänzer. Zu den Themenbereichen gehörten Ausbildung, Berufseinstieg, Karriere, Anforderungen, Arbeitsleben, Beschäftigungsformen, Nebenjobs und Einkommensquellen.
Das Fazit: „Nur Angestellte großer Häuser und die Superstars unter den Selbstständigen können von ihrer künstlerischen Arbeit leben“, sagt Dawid: „Die Mehrheit der Künstler lebt am Rande der materiellen Armut.“ Als freiberufliche Ein-Personen-Unternehmer gibt es für sie in Krisen und Notlagen keinerlei Unterstützung durch den Sozialstaat.“ (Siehe Interview)
Auf der Bühne gibt es Glamour neben Prekarität
„In den Medien repräsentieren diese Menschen die glamouröse Seite des Lebens. „Das verschleiert ein wenig die Tatsache, dass Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen mit ihnen auf der Bühne stehen“, sagt Evelyn Dawid, eine der Studienautorinnen. Allerdings hat ihre Lebensrealität wenig mit dem weit verbreiteten Bild eines schillernden Künstlerlebens voller Reichtum, Ruhm und Rampenlicht zu tun. Von den 15 Befragten sagen nur zwei, dass sie von ihrer Kunst leben können.
Dies gilt auch für die Mitglieder der Leftovers. „Große, gut finanzierte Festivals wissen, dass es für Newcomer wie uns wichtig ist, dort zu spielen. Viele von ihnen bezahlen uns sehr wenig und die bekannten Künstler viel“, sagt Leon. Obwohl die Gruppe in einschlägigen Medien als „Band der Stunde“ gehypt wird, „konnten wir von den Gagen nicht leben, auch wenn wir viele Auftritte hatten.“ Das System dahinter basiert darauf, dass man gesehen werden muss, um bekannt zu werden.
Über die Höhe der Vergütung für selbständiges künstlerisches Schaffen besteht keine Einigung.
Ulrike Kuner
Ulrike Kuner arbeitet daran, dies zumindest im Theaterbereich zu ändern. Der Geschäftsführer der IG freie Theaterarbeit, einem Verein mit 2.000 Mitgliedern in Wien, sieht im Kulturbereich andere Standards und Gesetze als in anderen Branchen. Während der Kollektivvertrag für Journalisten ein Mindest-Leitungshonorar für Freiberufler festlegt, „gibt es in Österreich weder ein Gesetz noch eine Vereinbarung über die Höhe der Vergütung für freiberufliche Künstler“, sagt Kuner. „In nicht geförderten Bereichen kann die Schauspielerei zum sprichwörtlichen Ein-Euro-Job werden.“
In diesem Jahr soll der Kunst- und Kulturetat 2024 zum vierten Mal in Folge steigen – um 7,8 Prozent von 620,2 Millionen (2023) auf 668,8 Millionen Euro. Die Erhöhung soll die Inflation ausgleichen, der Betrag wird jedoch auf alle Bereiche von Musik bis Bildende Kunst verteilt. Allein für die Bundestheater sind 194,2 Millionen Euro vorgesehen.
Freiberufler sind bei der Budgetverteilung im Nachteil
Während an großen Theatern angestellte Schauspieler, Tänzer und Musiker nach Kollektivverträgen bezahlt werden, müssen freischaffende Theatermacher für jede Produktion eine Förderung beim Bund oder bei der Stadt Wien beantragen. Bei Proben und Auftritten fallen den Schauspielern oft Honorare im Vergleich zu den Kosten für Ausstattung, Miete für Proberäume, Musik, Bühnenbild, Kostüme und Technik gegenüber.
Um dies zu ändern, hat die IG Freie Theaterarbeit eine Empfehlung zu niedrigeren Honorargrenzen vorgelegt und mit der Stadt Wien verhandelt, damit Personen, die maßgeblich an Produktionen beteiligt sind, die von der Stadt und dem Bund maßgeblich gefördert werden, entsprechend entlohnt werden Mit dieser Empfehlung können ohnehin weniger Projekte gefördert werden. Kuner sieht Erfolg: „Unsere Empfehlungen haben dazu geführt, dass die Budgets in diesem Bereich von der Stadt (Haushalt 2023: vier Millionen Euro, Anm.) und nun auch von Bund und Ländern erhöht werden“, betont sie.
Empfehlung für niedrigere Gebührengrenzen
Kunst- und Kulturschaffende aus aller Welt arbeiten in Wien und Österreich und es braucht kein Genie, um zu erkennen, dass sie die entsprechenden Rahmenbedingungen brauchen, um hier arbeiten und bleiben zu können. „Der öffentliche Sektor darf keinen Lohnwucher betreiben“, weist Kuner auch auf den Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit hin: Wer schlecht bezahlt, bekommt keine guten Leute.
Doch selbst bei fairer Bezahlung und öffentlicher Förderung verfügen die meisten freiberuflichen Künstler nicht über ein stabiles Einkommen. „Laut Statistik etwa 20 bis 22 Wochen im Jahr, mit einem Umsatz von 20.000 bis 22.000 Euro. Wir liegen unterhalb der Armutsgrenze. Deshalb ist es so wichtig, dass sich die öffentliche Hand zumindest im geförderten Bereich für eine faire Vergütung einsetzt“, rechnet sie vor.
Die meisten Theaterbetreiber, die keine Förderung erhalten, müssen andere Wege finden, um ihre Ideen umzusetzen. Es kann durchaus sein, dass das Geld nur für den Proberaum gesammelt wird und die Schauspieler sich letztlich nur am Ticketerlös beteiligen können.
Mehrere Jobs finanzieren Ihren Traumjob
„Viele gehen mehreren Jobs nach, um ihrem Traumberuf Schauspieler nachzugehen“, sagt Marcus Strahl, der als Schauspieler, Theaterregisseur und Festivalleiter arbeitet. „Es gab schon immer eine freie Theaterszene und die Bühnen haben den Künstlern oft gesagt: Wir bezahlen euch unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze und ihr könnt auch Arbeitslosigkeit anmelden.“ Zusammengenommen ergibt das eine Summe, die für einen bescheidenen Lebensstil ausreicht. Soweit ich weiß, gibt es diesen Ansatz noch“, sagt der Intendant des Wachau Festivals und Intendant der Neuen Bühne Wien.
Die traurige Praxis ergibt sich aus einer harten Realität: „Registrierte Gebühren können für diese Theater nicht finanziert werden“, berichtet Strahl. Der Forderung nach einem Mindestlohn für Künstler kann er nur dann etwas abgewinnen, wenn das dafür benötigte Geld von der öffentlichen Hand verteilt wird. „Es ist nicht so, dass die Theater den Schauspielern aus Gier oder Geiz wenig bezahlen, aber für diejenigen, die keine Förderung bekommen, geht es ums Überleben. Theater zu zwingen, sich anzumelden, ohne Fördergelder zu zahlen, ist Chuzpe, da dann rund die Hälfte der freien Bühnen schließen müssten. Dann können sich Aufführungen nur noch mittlere und große Theater leisten, die gute Subventionen erhalten.“
Rechtsstreit mit den Großtankern
Kammersänger Wolfgang Ablinger-Sperrhacke sieht eine weitere Baustelle, auch bei gut finanzierten Bundesbühnen und Festivals. „Der ganze Palawatsch entstand, als die Kultursubventionen zwischen 1995 und 2008 eingefroren wurden und dadurch von einem auf 0,5 Prozent des BIP sanken. Erst 2008 konnte die Inflation wieder ausgeglichen werden. Doch der frei verfügbare Teil des Budgets, insbesondere für Freiberufler, ist dadurch enorm gesunken. „Dadurch entsteht Selbstausbeutung in der Freien Szene, aber auch Lohndumping bei den großen Häusern“, sagt der Obmann des Berufsverbandes der Kurzarbeiter und Neuselbstständigen in der darstellenden Kunst und Musik in Österreich, der sich selbst nennt Kunst, aber fair, vereint.
Der Verein führt ein Gerichtsverfahren gegen die Bundestheater Holding und die Salzburger Festspiele. Laut art but fair United gehen die „Einsparungen“ weit über das arbeitsrechtlich zulässige Maß hinaus und etwa die Arbeitsverhältnisse von Freiberuflern im Chorbereich „bewegen sich sozialrechtlich in einer Grauzone“. Ziel des Verfahrens ist eine grundsätzliche Klärung. „Schließlich geht es auch um die Nachteile der Rentenversicherung über Jahrzehnte“, sagt Ablinger-Sperrhacke bei dem Treffen. Einem weiteren Vorwurf zufolge weigert sich das Festival immer noch, Stornogebühren aus den Corona-Jahren zu zahlen. Und auch Festivals und Bundestheater würden nicht wie gesetzlich vorgeschrieben die Hälfte des Künstlervermittlungshonorars zahlen, was zu Gehaltsnachteilen führen würde – mindestens sechs Prozent des Gehalts.
Vom Extrachor bis zu Riccardo Muti
„Ende der 1990er-Jahre wurde angesichts schrumpfender Fördermittel darüber nachgedacht, wo man sparen könnte. Hätten in den großen Gewerkschaftsgruppen Einsparungen erzielt, wäre es zu Arbeitskämpfen gekommen. So waren Institutionen wie die Philharmonie oder der Staatsopernchor von Sparmaßnahmen im weitesten Sinne ausgenommen und wurden auf dem Rücken von Freiberuflern und Solisten durchgeführt. Denn jeder Solovertrag ist ein Einzelvertrag. „Man kann die Vertragsbedingungen so gut oder schlecht gestalten, wie man möchte“, sagt Ablinger-Sperrhacke. An der Staatsoper beispielsweise sind nur 10,5 Prozent des Budgets für freie Mitarbeiter reserviert. „Aber vom kleinen Extra und dem Extra-Chor bis hin zu Riccardo Muti ist alles dabei.“
Theater zu zwingen, sich anzumelden, ohne Subventionen zu zahlen, ist Chuzpe.
Marcus Ray
Doch warum protestieren die Betroffenen kaum oder gar nicht? Vielleicht liegt es an den besonderen Erfolgserlebnissen, die künstlerisches Schaffen mit sich bringen kann. „Künstlerische Arbeit hat einen besonderen Charakter. „Die Menschen haben einen akademischen Abschluss, stehen auf der Bühne, bekommen Applaus für ihre Arbeit und sind in den Medien“, sagt Studienautorin Evelyn Dawid. Auch die Chance zur Selbstverwirklichung ist im Gegensatz zu manch anderem Beruf gigantisch. „Viele Menschen wollen Kunst machen, auch wenn sie dafür wenig oder gar kein Geld bekommen“, fasst Ulrike Kuner zusammen.
„Der Traum, Musiker zu sein, stirbt nie“
Leon Eder ist jedenfalls überzeugt, die richtige Branche gefunden zu haben. „Der Traum, Musiker zu werden, stirbt nie. „Es besteht darin, unabhängig von äußeren Faktoren seine eigene Kunst machen zu können und nicht nur zu überleben, sondern auch gut zu leben“, sagt er. „Es besteht darin, Menschen berühren zu können und begeisterte Gesichter zu sehen. Wenn Sie erkennen, dass Sie andere erreichen können, auch wenn es nur eine Person ist, dann ist es das. Deshalb möchte ich immer Musik machen, auch wenn ich irgendwann vielleicht mehr Energie in andere Bereiche des Lebens stecken muss, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.“
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